Erlebach Tom - "Warum dialysieren Sie eigentlich nicht zu Hause?"
Ich wurde im Mai 2004 32 Jahre alt und bin seit dem 22. Lebensjahr (1994) dialysepflichtig, da mir beide Nieren entfernt werden mußten.
1996 konnte ich transplantiert werden, doch das Organ hielt leider nur 4 Jahre, weshalb ich im Januar 2000 wieder mit der chronischen Hämodialyse beginnen mußte.
Das hieß wieder Montag, Mittwoch und Freitag direkt nach der Arbeit 5 Stunden Dialyse und dann 1 Stunde Fahrt nach Hause. Durch die erneute Dialyse besserte sich zwar mein Zustand kurzfristig, doch nach einem halben Jahr hatten sich doch einige Probleme angehäuft:
- Ich wog nur noch 64 kg bei 182 cm Körpergröße.
- Es bestand eine ausgeprägte Blutarmut (Anämie), trotz Eisen- und Erythropoetingaben in höchster Dosis
- Das Phosphor war schwer in den Griff zu bekommen, trotz Diät, Ca-Azetat + Renagel )
- Am beunruhigendsten aber war, daß mein Blutdruck sich trotz kochsalzarmer Diät und 5 verschiedenen Medikamenten nicht einstellen ließ und oft um 180/100 mm Hg lag.
Als ich wieder einmal wegen hohem Blutdruck "nachsitzen" mußte, und ich es so richtig satt hatte, da ich nach einem anstrengenden Arbeitstag und Dialyse nun endlich nach Hause wollte, wurde ich gefragt: "Warum dialysieren Sie eigentlich nicht zu Hause?"
Gute Frage!
Zwar hatte ich schon von der Möglichkeit gehört.
Zwar punktierte ich meinen Shunt schon längere Zeit allein.
Zwar wollte ich bald in das Haus meiner Freundin umziehen, dort wäre die alte Backstube leer.
Aber - geht denn das einfach so? - wollte ich von den Ärzten wissen.
Die Antwort lautete:
"Unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen und nach gewissem Training schon."
Im Trainingshandbuch Heimhämodialyse, herausgegeben vom KFH, konnte ich lesen:
"Als in den 60-iger Jahren die "Blutwäsche" mit der künstlichen Niere in den Kinderschuhen steckte, wurde nur in den Kliniken dialysiert. Damit waren nicht genügend Plätze vorhanden, um alle Patienten zu behandeln. Die Heim-Hämodialyse (HHD) stellte deshalb ursprünglich eine Notlösung zur Vorsorgung der Nierenkranken dar. Die erste HHD wurde 1961 in Japan durchgeführt. Ab 1964 wurden in Seattle, in Boston und London Heim-Hämodialysen in größerem Umfang durchgeführt. Die Arbeitsgruppen unter Professor Scribner und Prof. Shaldon haben sich dabei besonders verdient gemacht. In Deutschland konnten seit 1969 die Versorgungsdefizite durch Heim-Hämodialysen abgebaut werden."
Man kann sich vorstellen, mit welch einfachen Geräten damals dialysiert wurde und das allein zu Hause! Also, wenn es damals ging, warum nicht auch heute?
Warum gibt es heute so wenige, die diese Methode nutzen?
Zu lesen war:
- Gibt es mittlerweile ein flächendeckendes Netz ambulanter Dialyseeinrichtungen, so daß niemand aus Kapazitätsgründen die Dialyse verwehrt bekommt.
- Sind die meisten der Patienten, die jetzt mit der Dialyse beginnen über 60 Jahre (durchschnittlich 66 Jahre) alt und haben eine Reihe von Nebenerkrankungen, die eine engmaschige medizinische Überwachung und Betreuung erfordert.
- Hatte man die Heimdialyse auch etwas aus dem Auge verloren, nachdem in den 70-ger Jahren die Nierentransplantation ein etabliertes Verfahren geworden war.
- Gibt es mit der Peritonealdialyse ein anderes Verfahren, das man sogar ganz allein durchführen kann und somit ebenso Unabhängigkeit und Flexibilität gewährleistet.
Was für Vorteile gibt es aus medizinischer Sicht für einen Patienten, der die Hämodialyse zu Hause durchzuführt?
- größere Lebensqualität durch ein hohes Maß an Flexibilität und Eigenverantwortung
- bessere berufliche, soziale und medizinische Rehabilitation
Was für Gründe gibt es aus medizinischer Sicht für einen Patienten, die Hämodialyse nicht zu Hause durchzuführen?
- Instabilität aufgrund schwerer Herz-Kreislauferkrankung
- Vorliegen von Psychosen bzw. (Drogen-/Alkohol-) Abhängigkeiten
- unsicherer Gefäßzugang
- schlechte Mitarbeit des Patienten
Zu diesen Gruppen zählte ich mich nicht.
Und welche technischen Voraussetzugen sind erforderlich?
Ich las:
- gesonderter Raum erstrebenswert, jedoch nicht Bedingung
- Lagerungsmöglichkeiten
- Installationen Wasser und Strom
- Telefonanschluß
Zu Hause haben wir das Problem besprochen und uns gesagt: Versuchen sollten wir es!
Wie gesagt, das Shunt-Stechen mußte ich nicht mehr üben, aber ich habe alles viel bewußter getan - mir vorgestellt, dass ich es ja dann ganz auf mich und meine Freundin angewiesen bin. Von den Schwestern bekam ich Stück für Stück alles Wichtige um die Maschine und deren Bedienung beigebracht. Ich kam dann immer eine halbe Stunde eher zur Dialyse, um die Maschine zunächst mit und bald selbst aufzubauen.
Montag nachmittag kam auch meine Freundin ins Dialysezentrum und wir haben die nötige Theorie durchgesprochen. Die Dialysefiebel war der ständige Begleiter.
Verzögerung brachte dann der Umbau zu Hause. Es waren Leitungen neu zu legen. Wir haben den Raum nochmal neu gefließt und gemalert - er sollte ja richtig schön werden und ist es auch, wie das Foto zeigt. Bis zu einem gewissen Rahmen übernimmt das Kuratorium für Heimdialyse die Kosten für den Umbau.
Als die Fertigstellung absehbar war, haben wir auf das neue, zukünftige Dialyseregime gewechselt: die tägliche 3-stündige Dialyse. Im Zentrum konnten wir dabei engmaschig Kontrollen abnehmen und verfolgen, wie sich die Werte (insbesondere Kreatinin, Harnstoff und Kalium) besserten.
Am 17. November 2001 war der große Tag. Ich hatte am Vortag noch die Gardine angebracht. Kerstin hatte eine Torte gebacken, Kaffeetassen bereit gestellt. Die Maschine war aufgebaut. Und alle waren gespannt.
Dann kam die Dialysemannschaft und wir fingen einfach an - ohne Probleme! Ebenso am 2. Tag. Am 3.Tag waren wir ganz allein und es klappte auch! .........
Jetzt nach fast 3 Jahren Heimdialyse kann ich nur sagen: Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Klingt vielleicht etwas übertrieben, aber so empfinde ich es zur Zeit.
Ich habe Zeit für meine Familie, die seit Dezember 2001 um eine kleine Person reicher ist, die uns ganz schön auf Trab hält und die Nächte abkürzt. Trotz Dialyse bin ich zu Hause, die Kleine guckt mit zu, wenn sie nicht gerade schläft. Kerstin und ich haben auch Zeit zum Schwatzen wenn dann alles läuft und der Kaffee gekocht ist. Das wir das zusammmen geschafft haben, hat uns auch noch weiter zusammen geschmiedet , so daß wie eines schönen Diesntags beschlossen zu heiraten! Und jetzt warten wir jeden Tag auf die Geburt unsere zweiten Kindes - was es wohl diesmal werden wird ? Wir haben noch keine Ahnung.
Ich bin nach Beginn der Dialyse zu Hause zunächst nochmals um 3 kg leichter geworden, doch das war alles Wasser. Jetzt habe ich schon 7 kg echte Körpermasse zugenommen und mein Blutdruck liegt bei 120/80 mm Hg. Körperlich und auch geistig fühle ich mich nun viel leistungsfähiger. Ich sitzte regelmäßig auf dem Heimtrainer oder auf dem Rennrad, wozu ich vorher überhaupt keine Kraft hatte. Ich lese alle meine alten Bücher, die ich wieder hervorgekramt habe.
Aus meiner Sicht kann ich es denjenigen, für die die Heimhämodialyse in Frage kommt, nur zu dem Schritt raten ! Der Mut zum Wechsel vom Zentrum nach Hause hat sich in meinem Fall sehr ausgezahlt.
Tom Erlebach (Heim-hämodialysepatient aus Leipzig)