Guido`s Nierchen
Zur Person: Guido Lambrecht, geboren im Dezember 1967 im Bezirk Cottbus
Es ist schon prägend, wenn man als 11jähriges Kind über mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen muss, von einem Kreiskrankenhaus in ein Bezirksklinikum verlegt wird. Weit von Zuhause entfernt, 100 km die einem von den Eltern trennen. Besuch gibt es nur einmal in der Woche. Viele Medikamente werden verabreicht, selbst versteht man überhaupt noch nicht wie die Welt um einem funktioniert. Trotzdem haben die Eltern immer Zuversicht gezeigt und dass man bald wieder Heim kommen darf. Das passierte dann erst einmal durch Wochenendurlaub, von Freitag bis Montag, herrlich – trotzdem ging es wieder zurück in die Klinik.
Bei einem Aufenthalt blieb es leider nicht, in unregelmäßigen Abständen durfte ich 1, 2 Wochen in die Kinderklinik zur Behandlung. Ich erinnere mich auch nicht, gefragt zu haben, was ich habe, warum ich doch krank bin. In der Schule wurde ich vom Sportunterricht befreit, ehrlich das fand ich toll. Ein Medikament musste ich alle 4 Stunden einnehmen, viele Dinge habe ich im Unterricht nicht mitbekommen. Ich hing mit vielen Wissen ellenlang hinterher. Trotzdem wurde ich immer „mitgeschleift“.
Mit 13 bin ich dann zum ersten Mal in Kontakt mit meinem späteren behandelnden Arzt in Cottbus gekommen. Dr. Müller, er wirkte von Anfang an recht finster und bedrohlich auf mich. Vielleicht war das aber nur eine Vorahnung über meinen zukünftigen Lebensweg.
Dieser bestand 1981 erst einmal aus einer Ultraschalluntersuchung. Sicher heute ist das normal, aber 1981 gab es ein einziges Gerät im ganzen Bezirk Cottbus. Das befand sich in der gynäkologischen Station der Bezirksklinik. Ich erinnere mich, dass ich irgendwann unter den verwunderten Blicken hochschwangerer Frauen im Wartebereich bemustert wurde. Der Dr. Müller selbst nahm die Untersuchung an mir vor, ein anwesender Gynäkologe assistierte, besser erklärte dem Chef - Nephrologen, was er wo zu sehen glaubte. Bald nach dieser Untersuchung sollte bei mir eine Nierenbiopsie vorgenommen werden. Man erklärte mir, was das für eine Untersuchung ist, was dort wie gemacht wird. Aber ehrlich, mir ging gewaltig die Muffe.
Zu allererst musste ist dafür kurzzeitig in die Nephrologische Station wechseln. Das war damals ein extra Bau, langezogen und zwei Etagen hoch, auf dem Gelände des Klinikums. In der unteren Etage befand sich die nephrologische Station und die Dialyse. Ich vergesse nie diesen penetranten Geruch nach Desinfektionsmitteln. Dabei hatte ich noch Glück, ich wurde in einem 3 Bett Zimmer untergebracht. 1 Toilette jeweils für Männer und Frauen, nicht im Zimmer, nein auf dem Gang. Im Vorraum der Toilette war ein Holzregal mit Nummern. Darin standen offen die Urinsammelgläser der Patienten. Es stank dort ekelhaft nach Urin. Es gab auch 6 Bett Zimmer, am Ende der Station war die Dialyse. Auch hier, furchtbar, der Geruch nach Desinfektionsmittel. Abends kroch der Gestank durch den kompletten Bereich.
Dann kam der Tag der Biopsie und der Dr. Müller war wohl ein klein wenig aufgeregt. Er meinte, dass noch nie eine Biopsie an einem Kind vorgenommen hätte. Trotzdem verlief dies recht erfolgreich. Mir wurden die Gewebeproben gezeigt und dann lag ich mit dem Sandsack auf dem Rücken 24 Stündchen im Bett, musste trinken ohne Ende. Alsbald bin ich zurück auf die Kinderstation und danach wieder heim.
Wenig später musste ich, wohl auch weil der Chefarzt mich unter seine Fittiche haben wollte, meine Behandlungen grundsätzlich dann in dieser Station vornehmen lassen. Eine chronische Nierengewebsentzündung war diagnostiziert worden, unheilbar mit Aussicht auf die Dialyse. Wann und wie der Verlauf sein würde war unbekannt. Also musste ich mich emotional recht früh mit dem Schicksal auseinandersetzen. Trotzdem hatten meine Eltern diverse Hoffnungen auf Heilungen. Wir fuhren mitten in der Nacht zu einer uralten Naturheilerin, welche mich nach stundenlangem Warten dann untersuchte. Sie erkannte mein Nierenproblem und stellte sogleich mehrere Rezepte mit ungezählten Mitteln aus, deren Einnahme meine Eltern und mich im Nachhinein total überforderten. Zumal jedes dieser Mittelchen für einen stolzen Preis selbst erworben werden musste. Wir hatten es probiert, zu einen neuerlichen Heilversuch der „Kräuterhexe“ kam es dann eh nicht, sie war mittlerweile verstorben.
Als Heranwachsender hatte ich trotzdem eine tolle Kindheit. Regelmäßig war ich in die Nierensprechstunde vom Chefarzt Dr. Müller. Mehrmals wurde auch stationär eine Cortison Behandlung durchgeführt. Das war weniger lustig. Ich bin dann wie ein Hefeteig aufgegangen, es klingt lustig aber auch ich habe „Schwangerschaftsstreifen“. Der Appetit war einfach enorm. Ich war während meiner Stationsaufenthalte mit vielen Menschen in der Prädialyse konfrontiert. Die Eiweißdiät (damals Schwedendiät genannt) bedeutet, das Zählen der Eiweißpunkte seiner Mahlzeiten, um einfach unter den Höchstwert zu bleiben. Auch erlebte ich die Hoffnung eines Patienten, seiner Tochter eine Niere spenden zu dürfen. Es war schon sehr offensichtlich, dass die Ärzte einen Grund suchten, diesen Wunsch zu verhindern. Ja und ich hatte auch mal einen Blick in die Dialyse riskiert. Am Sonntag, wenn niemand drinnen war, aus irgendeinem Grund war auch die Zwischentür offen. Ehrlich, der Anblick war schon etwas schauerlich. Betten auf Waagen, viele Apparaturen, alles bis an die Decke gefliest. So etwas kannte ich bisher nur aus OPs. Aus Erzählungen von Mitpatienten erfuhr ich, dass 8 Stunden dialysiert wurde. Die Maschine wurde beim Erreichen des Zielgewichts auf der Bettwaage abgeschalten. Ständige Kreislaufschwierigkeiten, Übelkeit, ein Dialysepatient sah dem Tod näher als dem Leben aus. Aschfahl, vollkommen kraftlos und wirklich nicht Leistungsfähig. Regelmäßige Blutkonserven sollten den HB ein bisschen auf Trab bringen. Erypo war da noch ein feuchter Traum der Radrennsportler. Tja und für Menschen über 65 war die Dialyse nicht möglich. Der ganze Bezirk Cottbus hatte schätzungsweise 20 Dialyseplätze in den 80ern.
Gegen Mitte der 80ger Jahre, inzwischen war der Dr. Müller ein Professor, zog die nephrologische Station in ein anderes Gebäude um. 2 Bett Zimmer, hell und freundlich mit Toilette. Das war schon ein enormer Sprung an Qualität für Patienten und Mediziner. Trotzdem, so ein Stationsaufenthalt war doch recht langweilig. Es gab keine Fernseher auf den Zimmern, ich selbst hatte mein Kassettenrekorder für ein bisschen Entertainment dabei. Hin und wieder ließ ich mir von der Schwester Mull geben und drehte Tupfer für die Station. Ja, das mussten die Schwestern noch selbst machen. Eines Abends wurde ich durch die diensthabende Schwester gebeten ein Telegramm zur Poststation (im Klinikgebäude) zu bringen. So wurden die Angehörigen informiert, um ihnen den Abschied von einem im Sterben liegenden Patienten, zu ermöglichen. Es war in dem Fall ein 40jähriger Patient mit Urämie im Endstadium, kein Dialyseplatz.
Damals kannte ich fast alle unterirdischen Gänge des Klinikums, wusste wie man am schnellsten von A nach B kommt. Hin und wieder habe ich widerrechtlich das Klinikum verlassen und bin mit der Straßenbahn in die Innenstadt gefahren. Nur um einfach mal was anderes zu sehen und frische Luft zu schnuppern.
In der Zwischenzeit hatte ich die Schule absolviert und eine Lehre als Facharbeiter beendet. Leider durfte es aus gesundheitlichen Gründen kein Wunschberuf werden. Ich gab Gas im Leben, beruflich wie auch mit meinem Hobby als Schallplattenunterhalter in der DDR.
1989/90 verschlechterten sich dann rapide die Nierenfunktionswerte. Eine Chemotherapie, als letzter Strohhalm, brachte nicht den erhofften Erfolg. Inzwischen hatte ich mich mit meinem zukünftigen gesundheitlichen Weg ausreichend auseinandergesetzt. Himmelfahrt 1990 bekam ich dann den ersten Shunt im Klinikum Cottbus angelegt. Damals war das noch kein Feiertag im Osten. Es gab Gespräche der Oberärzte mit mir, was mir jetzt bevorstand. Eigentlich war ich schon froh, dass es im Juni 90 mit der Dialyse losging. Mein Allgemeinzustand war nicht der Beste, die Urämie begann den Körper in Beschlag zu nehmen.
Ab sofort hieß es jeden zweiten Tag morgens mit einem B1000 Krankentransporter 100 km von daheim nach Cottbus ins DiaZentrum, nach der Dialyse wieder zurück. Zumal über eine, damals, katastrophale Autobahn. Im Zentrum selbst war die Ausstattung der damaligen Zeit entsprechend. Die Maschinen, der Baureihe 401 aus der DDR-Produktion und eine der Baureihe 501. Dazu muss man sagen dialysiert haben diese alle. Nur halt wie die Dialyse aufgrund der Ausstattung verlief. Die 501 hatte schon recht moderne Drucksensoren, war auf den aktuellen technischen Stand.
Nun musste man morgens erst einmal alle Maschinen ablaufen, um seinen „Platz des Tages“ zu finden.
Recht schnell wurden 1990 die Maschinen gegen neue westdeutschen Maschinen Typ Braun „SECURA“ getauscht. Das war ein gefühlter weiterer Sprung in der Behandlung. Auch für das Personal, die Bedienfreundlichkeit war ungleich höher. Erypo wurde eingeführt, ein Segen. Viele Patienten hatten Unmengen an Blutkonserven während der bisherigen Dialysezeit benötigt. Das war schlagartig vorbei.
Irgendwann hatte der Professor einen Transportdeal mit der Cottbusser Taxigenossenschaft angeleiert und wir wurden mit Taxis gefahren. Oftmals wurde noch ein weiterer Patient aufgesammelt und mitgenommen. Leider wurde ich dort recht schnell mit dem Tod konfrontiert. Irgendwie ist das ja schon eine kleine Familie, wenn man dreimal in der Woche für 4 Stunden zusammensitzt. Man tauscht sich aus, man erfährt durchaus viel Privates voneinander. Und wenn dann hin und wieder ein Platz frei bleibt, man leider erfahren muss, dass dieser Mensch, obwohl in den besten Jahren, verstorben ist, wird man schon nachdenklich und weiß das Leben zu schätzen.
Der Professor machte seine regelmäßigen Visiten. Irgendwie wollte ich ihn auch ein kleinen wenig ärgern. Er mochte keine unrasierten Menschen und ich hatte aus Trotz und wohl ein bisschen aus Faulheit, beschlossen mir ein Vollbart stehen zu lassen. Nun, dieses Vorhaben stieß, wie erwartet auf Protest und Unverständnis beim Professor. Eigentlich hatte ich doch eine gewisse Narrenfreiheit, vielleicht auch, weil er mich so viele Jahre begleitet hatte. Sein Leitspruch bei allen Patienten war: „Das Gewicht muss runter!“ Ja, mein Blutdruck war hoch, nur Gewicht hatte ich nun wirklich auch nicht. Ich hatte damals 58 kg auf 178 Höhe verteilt. Dann wohl doch eher schlank. 1991 wurde ich vom Professor das erste Mal gefragt, ob ich PD machen möchte und gab mir ein Prospekt mit. Ich fand die Aussichten nicht prickelnd, ich wollte im Sommer baden (Es gab damals noch nicht solche Hilfsmittel wie heute dafür) gehen, irgendwann eine Familie gründen und habe deshalb diese Form der Behandlung nicht weiter erwogen.
Bald erfuhr ich, dass ich vom Professor schon im Juni 1990 als Transplantationsanwärter gemeldet wurde. Irgendwann stand 1991 ein Notarztfahrzeug bei mir vor der Tür um mich nach Cottbus abzuholen. Ich war als Ersatz für eine Transplantation in Berlin ins Zentrum einbestellt. Das hieß, im Zentrum warten und hoffen oder auch nicht, da ja der welcher gerade in Berlin für die NTX vorgesehen ist, ja auch das gute Recht hat, die Niere zu bekommen. Ein Satz mit „X“ und ich bin wieder Heim. Schnell kam die zweite Einbestellung, ebenfalls als Ersatz und wieder umsonst.
Ende 1991 wechselte ich dann in eine neue Dialyse in Wittenberg Apollensdorf. Das waren 40 km einfache Fahrt weniger. Ein tolles Team, super Ärzte und eben ein neu eröffnetes Zentrum. Räume mit je 6 Patienten moderne Behandlungsstühle. Die Patienten Weihnachtsfeier 1991 in der Dialyse hatte ich mit Musik beschallt. Zwischenzeitlich, ich war gerade bei Verwandten in Sachsen-Anhalt zu Besuch, wurde mir von deren Nachbarn, mit Telefon, mitgeteilt das ich wieder auf Ersatz bereit zu sein habe. Diesmal wurde auf meine Anwesenheit in Wittenberg verzichtet, wenn solle ich von dort nach Friedrichshain mit dem Taxi kommen. Warten bis in die Nacht, dann kam die Absage. Irgendwie hatte ich ab da die Nase voll. Die nervliche Anspannung, dieses warten, das Hoffen, dann die Enttäuschung. Alles wird irgendwann zu viel.
An einem Montag im Mai empfing mich die Stationsschwester der Dialyse aufgeregt vor dem Zentrum. Eine Niere für mich in Berlin! Ich sollte, auf Grund des Wochenendes nur noch drei Stunden im Zentrum dialysieren. Ich hatte immer eine gepackte Tasche daheim, ja daheim und nicht in Wittenberg! Der Taxifahrer ist die 60 km zu mir Heim gedonnert, meine Mutter wusste inzwischen bescheid und hatte die Tasche übergeben.
Tja, nun sitzt man 3 Stunden an der Maschine, alle 5 anderen Patienten wünschen einem alles Gute. Selber weiß man, eine jeder hier im Raum hat es eigentlich verdient, diese tolle Chance. Trotzdem Aufregung pur. Pünktlich war der Taxifahrer wieder da, ich dann irgendwann fertig. Mit einem Stapel Papiere ging es dann nach Berlin Friedrichshain. Die Transplantation war erfolgreich, die Niere lief vom ersten Tage an. Über die „tollen“ Anekdoten, welche ich über meinen dortigen Klinikaufenthalt hatte, schweige ich besser. Nach 3 Wochen holten mich meine Eltern aus der Klinik ab. Ein neues Leben hatte begonnen.
Nun ist es ja so, man war es gewohnt dreimal in der Woche für mehrere Stunden außer Haus zu sein. Man hatte Menschen um sich, war beschäftigt. Jetzt hatte ich 24 Stunden Zeit, 7 Tage lang. Am ersten Tag den Dialysebeginns war ich ja berentet worden, also was tut man, um nicht zu verdummen. Irgendwann im Frühsommer las ich eine Zeitungsannonce, dass in der neu eröffneten Diskothek im Nachbarort noch ein DJ gesucht wird. Da ich zwei volle CD-Koffer besaß und auch schon seit 1984 Veranstaltungen als DJ begleitet habe, griff ich zum Telefon und siehe da, am darauf folgenden Freitag durfte ich mein Können vor Publikum zur Schau stellen. Das gefiel dann offensichtlich, sodass ich ab sofort dort jedes Wochenende Freitag oder Samstag auflegen durfte. Nun waren die Wochenenden belegt. Bald war ich in der Diskothek für den Technikservice verantwortlich, bildete mich auf eigene Kosten weiter, um die neuste Lichttechnik programmieren zu können. So verging dann auch die Zeit. Ich legte inzwischen in verschiedenen Diskotheken auf.
1994 startete ich der Liebe wegen einen Neuanfang in Sachsen. Privat und auch beruflich.
Es folgten die Geburt meines ersten Sohnes und eine Hochzeit. Das Leben lief seine Bahnen. Im September 1997 schlug das Schicksal allerdings mit einem Mesenterial Infarkt voll zu. Erst eine Not- OP, anschließend 4 Wochen künstliches Koma. Niemand wusste oder konnte Vorhersagen, ob ich jemals wieder etwas Festes essen könne. Während des Komas hatte ich eine schwere Lungenentzündung, akutes Nierenversagen und noch ein paar Kleinigkeiten. Aber ich lebte! Auch hier muss und möchte ich mich nachträglich noch einmal bei dem gesamten Team der ITS Küchwald, inkl. OP- Team, bedanken. Leute ihr habt es einfach drauf!
Mir wurde, da ich ja DJ bin, ein Radio neben dem Bett mit Musik aufgestellt. Während ich 4 Wochen schlief. Ich wurde immer bestens über die Nachrichtenlage und die aktuellen Hits informiert. Irgendwann bin ich wieder auf Normalstation von dort aus kurz in ein Heim und auf AHB nach Bad Elster. Die Ernährung funktionierte wieder - 2/3 Dünndarm Entfernung sind nicht ohne. Das hatte ich auch in dem erstaunten Gesicht der Stationsschwester vom Sanatorium bemerkt, als ich auf eigenen Beinen und flottem Spruch dort aufgeschlagen bin. Man hatte ein Überwachungszimmer für mich vorgesehen, dann allerdings schnell ein normales Zimmer für mich zur Verfügung gestellt. Einen Tag vor Weihnachten war ich wieder daheim und Silvester hatte ich meine erste Veranstaltung nach dem Gau.
Im Jahr 2000 wollte dann das Nierchen leider nicht mehr richtig funktionieren. Ich wurde wieder auf die Dialyse mit einer Shunt OP vorbereitet. Wie vor 8 Jahren hieß es bald wieder Mo-Mi-Fr früh Dialyse. Etwas putzig war es schon, als die diensthabende Ärztin mit meiner Akte unter dem Arm (da waren geschätzte 1000 Seiten drin) zur ersten Dialysevisite mir eine Einführung in die Ernährung, Trinkvorgaben etc. pp geben wollte.
Mein betreuendes NTX Team in Berlin Friedrichshain wurde schon Ende der 90er aufgelöst und ins Virchow verlegt. Ich wollte auch wieder auf die NTX Liste und nutzte den geplanten Explantations-OP der Transplantatniere im Virchow. Mit „Laufzettel“ und viel Elan konnte ich innerhalb einer Woche den kompletten Durchlauf gewinnen. Trotzdem sich dabei sehr viele auch eigenartige Schwachstellen der Organisation herausstellten. Ich sollte, aus nicht nachvollziehbaren zum MRT. Den Ü-Schein in der Hand, bemerkte ich, dass dieser für eine Frau mit gleichem Nachnamen gültig war. MRT und Termin waren Ihrer. Man wollte mich dreimal zum Augenarzt schicken, nur weil der Befund nicht in die Akten eingefügt wurde. Ein Zahnarztbesuch stand an und ich bat einfach mal auf Verdacht, mir die Schädelröntgenunterlagen mit zu geben. Das erwies sich als hervorragende Idee. Das chirurgische Konzil wird mir immer in Erinnerung bleiben. Freitag gegen Mittag sollte ich auf die chirurgische Station zum OA Dr. May. Gesagt getan. Dieser zeigte sich „hocherfreut“ mich zu sehen: „Sind denn die drüben alle durch? Sie sind doch am Montag bei mir zur Explantation angemeldet, da bekommen sie das beste Konzil!“ So sollte es dann auch passieren. „Nebenbei“ wurden also montags die TX Niere entfernt, ein Goretex-Shunt in den Oberarm eingebaut und ein Narbenbruch repariert. Ein Hoch auf die Chirurgie! 3 OPs in einem Abwasch. Mit einer NTX Anmeldung und komplett hergestellt war ich dann eine Woche später wieder daheim.
Im Januar 2006, samstags früh um 7 Uhr, ich freute mich nach einer DJ Schicht endlich auf mein Bett, fing mich meine Frau an der Haustür ab: „Dresden ist am Telefon, die haben eine Niere für dich!“ Mitleiweile hatte ich mich an die UNI Dresden zum NTX Zentrum umgemeldet. Nun gut, das Telefonat habe ich entgegengenommen, die Fragen positiv beantwortet. Es war noch Zeit für die Vorstellung, also bin ich nochmals daheim in die Badewanne, während dessen meine Tasche gepackt wurde. Ich ließ mich dann in die Klinik fahren. Zeitgleich mit dem Organtransport Fahrzeug kamen ich dort an. Auch beim zweiten Mal klappte die NTX super, die Niere sprang an, die Werte waren gut, nach angemessener Zeit ging es wieder Heim.
Fasching 2006 machte ich wieder meine erste Schicht in der Disco, allerdings ohne persönlichen Kontakt zu den Gästen, Wünsche nur via Zettel. Ansonsten holte ich meinen kleinen Sohn nur mit Mundschutz aus der Kita ab.
Als DJ war ich in der Zeit in ganz Deutschland unterwegs, teils für Firmenpromotion aber auch zu Veranstaltungen. Es war eine entspannte Zeit, trotz, dass hin und wieder gesundheitlichen Problemen bzgl. der TX Niere auftraten. Zu schaffen machte schon der nachgewiesene Polyoma Virus. Nach einem Jahr war er dann auch nicht mehr nachweisbar. Es ist halt so, wenn man einen Vogel (nicht real) hat.
2011 war leider auch die Nierenfunktion so eingeschränkt, das erneut an die Dialyse musste. Wieder in die alte Schicht mit neuen Patienten. Der alte Goretex funktionierte noch. Er war wohl schon recht durchlöchert, sodass ich über eine Neuanlage nachdenken durfte. Meine Gefäße waren wohl nicht die besten, es gab immer wieder Probleme mit Shunt-Verschlüssen.
Nach unzähligen OPs, mittlerweile duzte mich das OP-Personal in der Klinik, entschloss ich mich zum damaligen „Shunt Papst“ nach Wiesbaden zu gehen. Termin war gemacht, die Krankenkasse gab „OK“ und rüber nach Wiesbaden. Dort ging alles schnell. Das Zimmer bezogen, da kam auch schon eine Schwester, ich solle mit einem Transport in die Nachbarklinik zur CO2 Angiographie. Also rüber und diese Untersuchung durchgeführt. Mit dem Transport zurück und kaum im Zimmer, stand wieder eine Schwester vor mir: „Machen Sie sich bitte OP fertig. Es geht los. Der Professor wartet auf Sie!“ Ruckzuck lag ich im „Armani Hemdchen“ auf der Trage im OP-Bereich. Die vorhergehenden Shunt OPs sind immer mit Vollnarkose erfolgt. Professor Krönung empfahl allerdings eine Lokal Anästhesie. Ich weiß nicht, ob er es bereut hatte, ich jedenfalls nicht. Wir, der Professor und ich, hatten anregende Themen gefunden um uns auszutauschen. Hin und wieder ein kleiner Witz, meinerseits lockerten die Stimmung auf. Wenn es knifflich wurde, bat der Professor um die nötige Stille zur Konzentration. Alles hatte super funktioniert.
Ein paar Tage Erholung noch in Wiesbaden im Zweibettzimmer und ich hatte einen alten Winzer als Bettnachbar. Dieser hatte, natürlich, Kostproben seines rheinischen Rebsafts mit dabei. So saßen wir sonntags im Juni auf der Klinikterrasse und verkosten einen durchaus vorzügliches Gläschen Wein. Auf einmal schaute der Kopf des Professors durch die Terassentür. Mir rutschte das Herz in die Hose! „Na die Herren“ so der Professor, „Ich müsste jetzt mächtig rebellieren! Ich hoffe die Herren haben noch ein Gläschen für mich übrig!“ Schnell holte ich noch ein Trinkgefäß und der Professor setzte sich zu uns auf die Terrasse und wir schwatzten. Tags drauf ging es geplant wieder heim.
Trotzdem der Professor Krönung den Shunt revidieren konnte, meinet er noch, dass immer wieder Problem damit auftreten würden. Irgendwann wurde dann in meiner Klinik die Shunt Ballon Angioplastie eingeführt. Das ersparte nervige Operationen mit Klinikaufenthalt. Der Shunt wurde via Katheder gedehnt und ausgefräst. Früh in die Klinik, und abends wieder heim. Und es funktionierte zur Freude der Gefäßchirurgen prima.
Ich war weiterhin fleißig als DJ unterwegs, trotzdem ich auf der TX Liste stand, machte ich mir eher weniger Gedanken, dass ein Anruf aus Dresden kommen könnte. So kam es, dass ich eben, Freitag nachts, gerade hatte ich nach einer Veranstaltung eine Stunde geschlafen, das Festnetztelefon klingelte. Irgendwie zwischen Traum und Halbschlaf ging ich ran. Es meldete sich der diensthabende Urologe aus Dresden, mit einem Nierenangebot. Schlagartig wach, beantwortete ich dessen Fragen, informierte mich über das Nierenangebot selbst und wann ich mich dort einzufinden hätte. Da noch einige Zeit verfügbar war, spulte ich automatisch, wie schon hunderte Mal durchgeplant, ein Prozedere ab. Ich hatte zwei komplette Tonanlagen im Auto, diese mussten raus. Ein Kollege verständigte ich sogleich, dass ich ein paar Stunden später eben nicht zur Moderation erscheinen konnte. Während ich zum Techniklager fuhr, weckte ich noch meinen Sohn, dass ich in ein paar Minuten meinen Wohnungsschlüssel bei ihm abgeben werde. Ich informierte meine Eltern und einige wichtige Menschen über mein Vorhaben. Wieder daheim bestellte ich ein Taxi für in 30 Minuten, packte eine Reisetasche und machte mich OP fein. Während der Fahrt in die Klinik besorgte ich noch einen Ersatz DJ für die Hochzeitsfeier am Abend. Gab die Information, welche ich vom Brautpaar hatte via Messanger weiter.
Irgendwann morgens saß ich dann im Wartebereich der Urologie in der Dresdener Uniklinik. Eine Mitpatientin aus meiner Dialyse wartete dort ebenfalls auf Ihre TX.Es folgten vorbereitende Gespräche und Untersuchungen, irgendwann lag ich dann mit einem Armani Hemdchen auf dem Bett OP fertig und es gab eine „Vorspeise“ Progaf. Ich wurde in den OP Bereich geschoben, auf dem Weg dahin durfte ich erste Bekanntschaft mit „Deniero“ (so heißt das tolle Teil) in der Kühlbox am Fußende des Bettes machen. Deniero war wieder weg, ein zwei Scherze weiter mit dem Anästhesisten später ging es in den OP und gute Nacht!
Ein paar Stunden später und leicht verkatert, wacht man auf und fragt als erstes, ob es läuft. Bald darauf folgten erste Fotos eines glücklichen DJs. Nach nicht einmal 2 Wochen wurde ich entlassen und seitdem genieße ich mein Leben.
Bis zu dem Tag an dem leider Covid19 kam.
Ich machte noch Anfang März eine Geburtstagsveranstaltung und dann war damit erst einmal Schluss. Ich gebe zu ich hatte und habe Respekt vor dieser Erkrankung. Man hat nicht diese Lebensgeschichte erfolgreich hinter sich gebracht, um durch einen unberechenbaren Virus letztendlich ausgeknockt zu werden.
Meine Freundin wohnt auf dem Land, also bin ich erst einmal 2 Monate komplett zu ihr in Pflege gegangen. Dasselbe war ich nun auch beim zweiten Shutdown für 7 Monate bei ihr. Kontakte nahezu gen 0, selbst meine Eltern hatte ich Monate nicht gesehen. Ich hoffe, dass nach den Impfungen, ein halbwegs zivilisiertes Leben weitergeht.
Im Großen und Ganzen, möchte ich mich bei all den Schwestern, Pflegern und Ärzten für ihre Arbeit bedanken. Ebenfalls bedanke ich mich bei meinen Eltern, Familie und Freunden, welche mitunter doch auch mit mir und meiner Einschränkung klarkommen mussten und müssen. Unterstützung gab es auch immer durch den Verein Dialysepatienten und Transplantierten Chemnitz e. V.
Ich denke aber auch an die vielen lieben Menschen, welche an dieser Krankheit zerbrochen sind!
Juni 2021
Guido Lambrecht