Kerstin Titscherlein - "GESUND - bedingt GESUND?!"

Als ich 1962 geboren wurde ahnte wohl keiner, dass sich mein Leben mehr oder weniger um Krankheit drehen würde. Doch ich bin sehr dankbar, dass es mir heute gut geht.

Im September 1964, genau eine Woche nach meinem zweiten. Geburtstag, kam ich bewusstlos in die Leipziger Uni- Kinderklinik in der Oststrasse. Dort teilten die Ärzte meinen Eltern recht schnell die Diagnose- "Diabetes mellitus Typ 1- Zuckerkrankheit" mit. Für alle brach eine Welt zusammen. Denn das hieß nun, mehrmals täglich Insulin spritzen, einem Kleinkind begreiflich machen, das es keine Süßigkeiten, kein Eis usw. gibt.
Für mich war es weniger ein Problem. Die Schwierigkeiten begannen für mich erst mit der Einschulung. Neben schreiben und rechnen musste ich nun auch noch lernen, mich selbst zu spritzen. Für meine Klassenkameraden war es schwierig damit umzugehen. Da ich mich im Wachstum und in der körperlichen Entwicklung befand, musste ständig der Insulinbedarf meiner Ernährung und meiner Bewegung angepasst werden. Das geschah zwei bis drei mal pro Jahr. Dafür musste ich dann entweder ins Krankenhaus oder in eine der speziellen Einrichtungen für Kinder nach Garz (Insel Rügen) oder Putbus. Diese Aufenthalte zogen sich dann über viele Wochen hin. Es war furchtbar. Ständig von den Eltern, meinen drei Geschwistern, den Schulfreunden weg. Auch die Schulversäumnisse musste ich immer wieder aufholen. In den 60iger und 70iger Jahren gab es die Selbstkontrolle des Blutzuckers zu Hause noch nicht. Den Urinzucker konnte man nur mit erschwerten Bedingungen selbst kontrollieren. Die Selbstkontrolle bei Diabetes heute ist zu damals überhaupt kein Vergleich.

Als 16 jährige fuhr ich dann das erste mal nach Karlsburg (Greifswald) zur Insulineinstellung. Als eine der ersten Patientinnen erhielt ich ein Messgerät und eine Insulinpumpe für zu Hause. Meine Berufsausbildung, als Krankenschwester - wie konnte es anders sein- absolvierte ich ohne große Schwierigkeiten im St. Georg Krankenhaus.

Ich war nur einige Wochen als examinierte Krankenschwester tätig, als ich 1982 bemerkte, dass ich schwanger war. Ich wurde sofort krankgeschrieben und musste alle 14 Tage stationär zu Neueinstellung des Insulinbedarfes. Es musste ständig ein ausgeglichenes Profil zwischen Ernährung, Bewegung, Wachstum des Kindes, Anpassung des Hormonhaushaltes und Insulinbedarfes aufs neue gefunden werden. Also eine Risikoschwangerschaft. Durch diese Extrembelastung für meinen Körper hatte ich dann auch noch mit den ersten Spätschäden des Diabetes zu kämpfen. Es drohte sich die Netzhaut des Augenhintergrundes zu lösen. Über Wochen musste dies mit einer Laserbehandlung gestoppt werden. Die letzten vier Monate wurden immer bedrohlicher für das Kind und mich. Also musste ich mich bis zum ersehnten Termin ins Krankenhaus begeben. Im März 1983 entband ich
- Gott sei Dank!- per Kaiserschnitt eine kerngesunde Tochter. Auch dies war unter den damaligen Umständen nicht ganz ungefährlich.
Ich war sehr glücklich und das Leben schien fast in Ordnung zu sein. Leider hielt jedoch meine damalige Ehe nur zwei Jahre. 1986 folgte die Scheidung und wieder kostete es mir viel Kraft.

Kraft die nach 24 Jahren insulinpflichtigen Diabetes mit ständigen Höhen und Tiefen, immer weniger wurde.

Kurze Zeit später traf ich einen Freund aus meiner Schulklasse wieder. Inzwischen sind wir bereits 12 Jahre verheiratet.

Viele Jahre hielt ich meinen Gesundheitszustand relativ stabil. Ab 1995 konnte ich eine schleichende Niereninsuffizienz mit einer strengen Kartoffel- Ei- Diät noch drei Jahre hinauszögern. Im Februar 1998 begann dann aber doch für mich die Qual der Dialyse. Mein Diabetes, mit all seinen Spätfolgen hatte mich ebenfalls noch voll im Griff. Es war für mich und meine Familie kaum zu ertragen.

Da kam das rettende Gespräch mit Professor Dr. Witzigmann.
Er sprach davon, dass das Transplantationszentrum Leipzig die erste kombinierte Nieren-/Pankreastransplantation in Sachsen durchführen will. Alle meine Befunde sprachen dafür, das ich diese erste Patientin sein könnte.
Am 29 September 1998 kam dann der erste Anruf. Doch leider konnte nicht transplantiert werden. Die Organe waren nach genaueren Untersuchungen traumatisiert.

Also wieder warten und weiter ums Überleben kämpfen. Zur Geburtstagsfeier meines Schwagers erhielt ich dann den zweiten Anruf. "Frau Titscherlein, hier ist das NTZ; Wir haben ein Organ für sie!" Meine verdutzte Antwort darauf: "Das kann nicht sein, ich brauche doch zwei!" Es hatte seine Richtigkeit, sie hatten eine Niere und eine Bauchspeicheldrüse. Es folgte stundenlanges Warten - Angst - Ja? - Nein?.. Angst- Angst - Angst. Ich, die Erste mit so einer Transplantation?
Es war der 25. Oktober 1998 - Tag der richtigen Entscheidung und Beginn meines neuen Lebens.

Nach einigen anfänglichen Turbulenzen und Schwierigkeiten, blicke ich heute auf reichlich vier Jahre ohne Insulinspritzen, ohne erhöhte Zuckerwerte, ohne das Fortschreiten der Spätschäden zurück.

Ein lebenswerteres Leben!
Danke meinem Spender für ein neues, bedingt GESUNDES LEBEN.

Kerstin Titscherlein